Meine Mutter und mein Vater kommen aus dem Irak. In den fünfziger Jahren emigrierten sie nach Israel, das 1948 als Staat gegründet worden war. Dort lernten sie sich kennen und heirateten.
Ich wurde 1963 geboren.
Als 1967 der Sechstagekrieg ausbrach, der Krieg in dem wir die „besetzten Gebiete” eroberten, war ich vier Jahre alt.
Ich erinnere mich an die Sirenen, die uns zum Hinabsteigen in die Luftschutzkeller aufriefen, und an unsere Nachbarin Alisa, die über uns wohnte und sich aus Solidarität mit ihrem zum Militär eingezogenen Sohn weigerte, mit uns in den gemeinsamen Keller des Gebäudes zu kommen, und allein in ihrer verdunkelten Wohnung blieb.
Nach dem Krieg waren wir, die jüdischen Einwohner Israels, voller Euphorie über diesen Sieg. Im Kindergarten erzählte man uns, wie wir, eine kleine Minderheit gegenüber einer überwältigenden Mehrheit, den Angriff zurückgeschlagen und unsere arabischen Feinde besiegt hatten.
Man lehrte uns stolz auf unseren Sieg zu sein und unsere bezwungenen Feinde zu verachten. Eine neue Identität israelischer Juden entstand, die Sabres, die sich selbst verteidigen können, tapfer und heldenhaft sind und ganz anders waren als ihre Eltern, in den meisten Fällen Überlebende des Holocaust.
Wir Kinder sangen patriotische Lieder. Aus dem Radio tönten israelische Volkslieder, gespielt von israelischen Folklorebands, die den vitalen „Sabra-Charakter” des neuen Staates
zum Ausdruck brachten.
Aber das Radio meiner Eltern spielte auch andere Lieder, auf arabisch, ihrer Muttersprache.
Farid El Atrash und Oum Kulthoum sangen auf arabisch, der Sprache des Feindes; Lieder, deren Inhalt ich nicht verstand.
Meine Eltern sprachen hebräisch und arabisch miteinander.
Und wenn sie nicht wollten, daß ich sie verstand, sprachen sie arabisch.
Ich war verwirrt.
Ich schämte mich.
„Meine Eltern sind Araber!”
„Warum sprechen sie arabisch miteinander?”
„Sind sie vielleicht Spione?”
Ich versuchte sie zu überraschen, zu erwischen, wenn sie mit dem Morseapparat dem „Feind” Signale sandten, Staatsgeheimnisse verrieten.
„Und wenn ich sie wirklich beim Senden erwische?”
„Es sind doch meine Eltern! Sie lieben mich doch!”
„Und wenn sie herausfinden, daß ich sie verraten habe?”
„Wem soll ich treu sein? Meinen Eltern? Dem Staat?”
„Niemand!”
Dieser persönliche Konflikt, den ich seit Jahren in mir trage, kommt in Träumen voller Angst, Aggression und Furcht zum Ausdruck. Unglücklicherweise wurde dieser Alptraum zur Realität für uns alle, Palästinenser und Israelis.
Sie und wir.
Wir und sie.
Zwei Völker auf einem kleinen Stück Land, jede Seite bewaffnet mit ihren historischen und moralischen Ansprüchen, machen unser gemeinsames Paradies zur existentiellen Hölle.
Ich bete dafür, daß unsere beiden Völker diesen Konflikt überwinden und einen Weg finden werden, in Frieden zu leben und Ost und West miteinander zu verbinden.

September 2002
Eytan Shouker

Eytan Shouker
Künstler und Urheber des „Pen - Pal Projekts”, Tel Aviv, Israel
artist and initiator of the “Pen - Pal Project ”, Tel Aviv, Israel


Warum sprechen sie arabisch miteinander?
Why do they speak Arabic with each other?


My mother and father are Iraqi Jews, who immigrated in the 1950s to Israel, which had been declared an independent state in 1948. They met and married in Israel.
I was born in 1963.
In 1967, when the Six-Day-War broke out, the war in which we conquered what is referred to as the “Occupied Territories” – I was four years old. I remember the sirens, signaling that we had to go into the air-raid shelters. I remember our upstairs neighbor Aliza who, out of solidarity with her son who had been drafted into the army, refused to come down to the basement of our building. She insisted on staying all by herself in her blacked-out apartment.
After the war, we, the Jewish people of Israel, were euphoric about our victory. In kindergarten, we had been told that we, a handful against so many, had repulsed the attack and conquered our Arab enemies.
We were taught to be proud of our victory and to look
down on our conquered enemies.
A new identity of Israeli Jews, born in Israel, emerged: The “Sabras”, Israelis who can protect themselves, are brave and heroic, and different from their parents who are mostly Holocaust survivors.
As children, we sang patriotic songs. The radio played Israeli folkmusic that expressed the lively “Sabra” character of the new state.
But my parents’ radio played other songs as well – in Arabic – their native language.
Farid El Atrash and Oum Kulthoum sang songs in Arabic, the language of “the enemy”, songs whose meaning I did not understand.
My parents spoke both Hebrew and Arabic. When they did not want me to understand they spoke only Arabic with eachother.
I was confused.
And ashamed.
“My parents are Arabs!”
“Why do they speak Arabic with each other?”
“Maybe they are spies?”
I tried to surprise them, to catch them in the act of using their Morse-code machine, sending signals to the “enemy”, giving away state secrets.
“And what if I would really catch them sending signals?”
“But they are my parents! They love me!”
“And if they found out that I betrayed them?”
“Whom shall I be loyal to? My parents? The state?”
“No one!”
This personal conflict has existed within me for years. Fear, aggression and anxiety find their expression in my frequent dreams. Unfortunately, this nightmare became reality for all
of us, Palestinian and Israelis alike.
Them and us.
Us and them.
Two peoples on a small piece of land, each side armed with its historical and moral rights.
Turning our common paradise, into existential hell. I pray that my people and the Palestinian people will overcome this conflict and find a way to live peacefully with one another merging East and West.

September 2002
Eytan Shouker